Last updated: 18 Apr 25 17:24:21 (UTC)
Karfreitagsgedanken
Meine Frau bemalt Eier, das letzte Kind, das noch bei uns lebt, ist beschäftigt, und ich habe eine Erinnerung ausgegraben, einen Schatz, den es bei keinem Streamingdienst gibt: Jospeh Haydn, Die sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuze, mit dem Lyssenko-Quartett aus Kyjiw, die Worte gesprochen auf Deutsch von Botschafter a.D. Dietmar Stüdemann und in Landessprache von Tatjana Terjoschina, der damaligen Lektorin von St. Katharina Kyjiw. Beide spielten eine wichtige Rolle in meinem Leben.
Botschafter a. D. Dietmar Stüdemann war der stille Schirmherr des Projekts meiner jungen Erwachsenenzeit, der Gründung der Deutschen Schule Kiew. Während in Kyjiw die Wogen in der deutschen Community ganz hoch kochten, und sich die Ernst-Front, die an meine guten Absichten glaubte, und die Gegenfront, die mir i.W. unterstellte, ich wolle nur die Fördermittel in die eigene Tasche wirtschaften, oder anderweitig mit dem Projekt unzufrieden war, immer unerbittlicher gegenüberstanden und die diensthabenden Diplomaten ihre liebe Not hatten, sich in diesem Durcheinander zu positionieren, traf ich mich incognito in einem Hotel in Kyjiw mit Botschafter a.D. Stüdemann. Er ließ sich von mir alle Pläne zeigen, hörte mich geduldig an, stellte Rückfragen, dachte nach und meinte dann: Herr Ernst, ich glaube an Sie! Es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass ich persönlich mit ihm zu tun hatte, aber seit diesem Treffen ging es aufwärts. Wir bekamen schließlich Mittel und konnten bauen; die Schule ist heute eine anerkannte deutsche Auslandsschule, und die Menschen wie auch der damals von meiner Frau projektierte Gebäudeteil trotzen nun einem schlimmen Angriffskrieg. Dietmar Stüdemann ist derweil im Frieden beim Herrn, Gott habe ihn selig.
Tatjana Terjoschina gehörte zu den Frauen, die die deutsch-lutherische Kirchengemeinde St. Katharina in Kyjiw nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion neu aufgebaut haben – jene Gemeinde, die Menschen unterschiedlichster, oft bewegender, Biografien zusammenbrachte und in der ich meinen Glauben wiederentdeckt und gefestigt habe. Zu meiner Zeit in Kyjiw war sie eine der größten Stützen der Gemeinde. Sie sprach fließend deutsch, dolmetschte, gab den Gemeindebrief heraus, vertrat Kyjiw auf der Synode in Odesa, war die rechte Hand des Pfarrers und hielt Lesegottesdienste, wenn der Pfarrer abwesend war. Sie hat so manche Schlacht geschlagen, manche mit mir an ihrer Seite, manchmal hatten wir auch gegensätzliche Standpunkte. Nun aber ist auch sie im Frieden beim Herrn. Andere sind an ihre Stelle getreten.
Doch regelmäßig am Karfreitag kann ich die Stimmen dieser beiden ganz besonderen Menschen wieder hören. Sie erinnern mich daran: Bei Christus am Kreuz ist Frieden. Ich war damals jung, und auch jetzt bin ich noch Teil der kämpfenden Kirche. Doch einst werden wir uns alle wiedersehen - in Frieden!
© 18.04.2025, Tobias Ernst, Impressum: https://tf-translate.net/impressum.html*